| Nur  ein Fußballspiel? Gedanken zum FinaleVon Klaus Buschendorf Ein Fußballfan bin ich nicht  gerade, aber schöne Spiele sehe ich mir gern an. Als Kind spielte ich den  ganzen Tag auf der Straße Fußball. Das ging damals noch, zum Wechsel der  vierziger zu den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts – Autos waren  selten. Und alles ohne Schiedsrichter. Nach 15 Minuten freute ich mich,  ein solches, schönes Finale erleben zu können. Tore würden fallen, die Spanier  würden siegen, die Holländer trotz Niederlage gut aussehen – so meine  Erwartung. Es kam nicht so.  Ich hörte im Spiel einen  Kommentar. Unser früherer Nationaltorwart Kahn meinte: Das sei nicht brav, wie  sich die Niederländer dann verhalten haben, aber im Interesse des Kampfes um  den Sieg sei das im Fußball halt ein legitimes Mittel ... Als Kinder hätten wir  das früher anders betitelt: Weil ihr nicht spielen könnt, fangt ihr an zu  „holzen“! Das hätten wir solchen „holländischen“ Gegnern zugerufen! Und wären  sie dabei geblieben, gegen Schienbeine den Kampf zu führen ..., Abbruch des  Spieles, vielleicht gar anschließende „Klassenkeile“ hätte sich entwickeln  können. Und das alles ohne Schiedsrichter.  Wie aber handelt heute ein  Schiedsrichter? Ein Spieler, der einem Gegenspieler mit dem flachen Fuß gegen die  Brust springt, wird – ermahnt! Vor den Augen von Millionen Zuschauern –  ermahnt! Nun will ich nicht über den Schiedsrichter den Stab brechen. Er  handelt seinen Schulungen und Erfahrungen gemäß, setzt den herrschenden Stil im  Spiel um. Das Spiel zeigt also eine Verrohung der Sitten an – und das ist mein  Anliegen. Denn auch in nachfolgenden Kommentaren lese ich Worte wie „....  kampfstarke Niederländer kämpften mit Energie gegen ihre Niederlage ...“. Und  Kahn sagt: „... nicht brav, aber legitim ...“! Aus diesen Kommentaren kann man  nur schlussfolgern, dass die Spieler die Grundeinstellung haben, dass alles  erlaubt sei, was der Schiedsrichter nicht ahndet oder nicht sieht. Das geht  halt manchmal schief, aber selbst dann ist das nicht mehr als Pech. Moralisch  den Übeltäter zu verurteilen, weil man das schon aus seiner eigenen  Grundeinstellung einfach nicht tut, den Gegner festzuhalten, zu umklammern,  Beine zu stellen oder in sie zu treten, an die Brust zu springen ... kommt  jemand der Beteiligten auf solchen Gedanken? „... ein legitimes Mittel ...“? Es  muss wohl so sein, dass der Sieg vor Genuss am Spiel steht und – möglichst zum  Teufel mit den Regeln, Hauptsache: Ich gewinne! Die Spiele einer Gesellschaft  sind ihr Spiegelbild des Umgangs untereinander. Bei den alten Römern mussten  die Spieler als Gladiatoren oft ihr Leben lassen – diese Gesellschaft war eben  grausam zu ihren einzelnen Menschen. So habe ich es im Geschichtsunterricht  während meiner Fußballzeit auf der Straße gelernt – und im Leben erfahren, dass  das stimmt. Nun – etwas weniger grausam als die alten Römer untereinander sind  wir wohl! Dennoch kann ich mir nicht helfen: Wir waren wohl schon ein wenig  weiter im Umgang untereinander. In meiner Kinderzeit (ohne Schiedsrichter)  konnte es vorkommen, dass wir um ein Tor stritten – und plötzlich sagte der  Torschütze: „War nicht drin, ich habe geschummelt ...“ und ein Anderer raunte  an seinem Ohr: „... hätt’ste doch nicht sagen brauchen ...“ – „Ehrlich  gewinnen, ist aber schöner ...“, wäre wohl die Antwort gewesen. Von all den  Spielern auf dem Platz des Endspieles kann ich mir diese Szene nicht  vorstellen. Doch – woher soll solche Grundeinstellung kommen? In unserer Gesellschaft wird der  Sieger angehimmelt. Fragt jemand, wie er Sieger wurde? Das ist so bei den  Unternehmen, in der Belegschaft beim „Karrierestreben“, in der Politik, auch  schon bis weit hinunter in die Privatsphäre. Sieger bekommen Geld, Geld ist  Maßstab geworden für Erfolg und – Geld stinkt nicht. Besser gesagt: Geld stinkt  – nicht mehr, denn die Mittel der Ellenbogen des Betruges sind doch solange  „legitim“, bis sie jemand bemerkt! Ist so nicht unsere tägliche Praxis,  zumindest – ganz oben? Und strahlt das nicht täglich immer weiter aus, weiter –  nach unten? Und ein Westerwelle und andere „Leistungsträger“ beschimpfen  anschließend die Verlierer der Gesellschaft wegen ihrer schlechten Moral?  Verlierer verdienen genauso  Achtung wie Gewinner. Sie gehören zum Spiel – sonst gibt es dabei keinen  Genuss, keine Freude – überhaupt kein Spiel. Nicht nur im Spiel brauchen auch  Verlierer Achtung. Und es muss Regeln geben, die der Spieler einhält – in  seinem Kopf! Nicht nur aus Angst vor Strafe, vor dem Schiedsrichter. Denn: Wenn  das nur lange genug so gelehrt und praktiziert wird, kommt irgendwo die Forderung  auf: Schaffen wir doch endlich den Schiedsrichter ab, der hemmt doch nur den  Spielfluss mit seinen vielen Pfiffen! Warum muss ich jetzt an die  Forderung der „freien Marktwirtschaftler“ denken: Weg mit dem Staat – der freie  Markt braucht keine Regeln! Übrigens: Ich habe mich gefreut,  dass die Spanier noch zu einem Tor gekommen sind. Doch auf ausgleichende  Gerechtigkeit im Selbstlauf sollte man nie rechnen! |